Neue Gemeinderätin Anna Tanner: «Bevor ich im Januar starte, mache ich einen Führungskurs»
Mit Leichtigkeit ist ihr die Wahl in den Gemeinderat gelungen: Die ehrgeizige Anna Tanner (SP) könnte wohl auch national Karriere machen. Doch ab sofort setzt sie auf die lokale Politik.
Niemand anderes hat für die Wahl in den Bieler Stadtrat am 22. September so vielen Stimmen gemacht wie Anna Tanner (SP). 4398 Stimmen hat die 35-Jährige geholt, darunter auch viele Panaschierstimmen, bis hinein ins rechte Lager, obwohl sie klar im linken Flügel der SP zu finden ist.
Tanners erklärtes Ziel war allerdings nicht die Wiederwahl in den Stadtrat, sondern die Erstwahl in die Exekutive: Und das ist ihr gelungen. «Im kommenden Jahr wird sie, die derzeit noch Grossrätin und auf dem ersten Ersatzplatz der SP-Frauenliste im Nationalrat ist, eine von vier Frauen in der Bieler Regierung sein.»
Am Mittwochmittag kommt Tanner direkt aus dem Talk auf «Telebielingue», in dem sie zuerst auf Deutsch, dann auf Französisch Red und Antwort stand. Etwas, was ihr offensichtlich Freude bereitet.
«Ich konnte bis heute nicht auf alle Glückwünsche reagieren.»
Seit dem Sieg am Sonntag ist Tanner kaum zur Ruhe gekommen, wie sie erzählt. Es begann mit einer grossen Wahlfeier ihrer Partei, an der sie beim Karaokesingen ihr Gesangstalent zum Besten gegeben haben soll. Zahlreiche Gratulationen sind seither eingegangen. Aus dem National- und Grossen Rat, aus der eigenen Partei in Biel und «auch von einer ehemaligen Dozentin von mir».
«Ich konnte bis heute nicht auf alle Glückwünsche reagieren», sagt sie mit Blick auf ihr Handy. Eine frühere Wegbegleiterin und Parteikollegin hat Tanner allerdings von sich aus gefragt, was sie ihr denn jetzt als Vorbereitung für das neue Amt empfehlen würde. Die Rede ist von der früheren Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP): Und was hat Sommaruga der Bielerin geraten? «Sie sagte mir, ich soll doch jetzt zuerst einfach einmal Ferien machen», sagt Tanner und lächelt.
Tanner schielt auf die Bildungsdirektion
Anna Tanner ist jemand, der durch grosses Engagement auffällt und nichts dem Zufall überlässt. Durch ihre Arbeit als Sozialarbeiterin hat sie ein grosses Netzwerk, als Stadträtin hat sie zahlreiche Vorstösse eingereicht und war bei vielen Initiativen vorne mit dabei.
Bereits hat sie ihre Arbeitsstelle im Berner Frauenhaus gekündigt. Als Vorbereitung auf ihre neue Aufgabe als Gemeinderätin hat sie sich an der Bieler Fachhochschule für einen «Leadership-Kurs für die ersten hundert Tage» eingeschrieben, wie sie offen sagt.
Schon mehrmals hat Tanner gesagt, dass sie sich gut vorstellen könnte, im Gemeinderat die Nachfolgerin von Glenda Gonzalez Bassi zu werden. Die Direktion Bildung, Kultur und Sport hat über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Heisst, sie würde gerne das Amt von jener Parteikollegin übernehmen, die ihr vor vier Jahren noch den Sitz im Gemeinderat wegschnappte. 2020 hat Tanner nämlich schon einmal kandidiert.
Zwar wird sie als neu gewähltes Mitglied diejenige Direktion erhalten, die übrig bleibt. Dennoch sagt sie: «Ich wäre sehr motiviert, die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion zu übernehmen, wenn Glenda Gonzalez Bassi Stadtpräsidentin wird, was ich natürlich hoffe.»
«Filière Bilingue ausweiten»
Anna Tanner ist um keine Antwort verlegen, wenn sie darauf angesprochen wird, wo sie denn die Herausforderungen an den Bieler Schulen sieht. Wichtig sei, dass die Arbeitsbedingungen der Lehrpersonen stimmten, ebenso die Räumlichkeiten für den Unterricht. Pädagogisch sinnvolle Klassengrössen seien ein Thema. «Auch das Angebot an Tagesschulen soll weiter ausgebaut werden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu stärken», sagt die Pfarrerstochter.
Sie sagt: «In den Schulen gibt es sehr grossen Herausforderungen, unter anderem, weil die Klassen äusserst heterogen sind und oft Probleme von zu Hause in der Schule zum Vorschein kommen.» Das Stichwort sei hier Schulsozialarbeit, «weil die Lehrpersonen oft überfordert sind».
Tanner spricht sich auch dafür aus, dass in der Stadt Biel das zweisprachige Schulangebot Filière Bilingue ausgebaut wird. «Weil das für die obere Mittelschicht ansprechend ist und gute Steuerzahler in die Stadt bringt.»
Tanner ist keine Politikerin, die laviert. Sie sagt von sich: «Ich vertrete klare Positionen und die Leute merken, dass es mir ernst ist mit meiner sozialen Politik.» So wolle sie auch helfen, das Leben von Menschen in schwierigen Situationen zu verbessern. Gut möglich, dass sie genau deshalb gut ankommt.
«Eine talentierte Politikerin»
Was sagen Weggefährtinnen und Weggefährten über sie? Der Berner Oberländer SP-Grossrat und Co-Präsident der SP des Kantons, Ueli Egger, hatte zu einem früheren Zeitpunkt über sie gesagt: «Anna Tanner ist eine sehr talentierte Politikerin, ein sozialer und verantwortungsbewusster Mensch.» Sie arbeite effizient, aber jederzeit mit Fingerspitzengefühl. Sie sei stark im Argumentieren und hartnäckig beim Einbringen und Durchsetzen ihrer Überzeugungen. «Sie ist aber auch eine gute Zuhörerin und versucht, ihr Gegenüber zu verstehen und in die eigenen Überlegungen und gemeinsamen Lösungen einzubinden», sagte Egger.
SVP-Stadträtin Sandra Schneider sagt, sie und Anna Tanner seien als junge Frauen gleichzeitig in den Stadtrat gewählt worden, seien vom Jugendparlament gemeinsam interviewt worden. «Wir haben uns während unserer Laufbahn immer wieder gekreuzt und respektieren uns, obwohl wir politisch natürlich auf einer ganz anderen Seite stehen.» Anna Tanner sei ihr schon immer als äusserst ehrgeizig aufgefallen und als eine, die immer dranblieb. «Entsprechend ist sie auch von ihrer Partei gefördert worden», sagt Schneider.
Ein Nationalratsmandat kommt aktuell nicht mehr infrage
Und übrigens: Sollte Anna Tanner in der laufenden Legislatur in den Nationalrat nachrücken können, dann würde sie nicht etwa in Biel alles stehen und fallen lassen, sondern auf die nationale Karriere verzichten. Die Stadt Biel erlaubt aufgrund einer Initiative der Passerelle keine Doppelmandate mehr.
Mit ihrer zielstrebigen Art hat sie sich das natürlich schon längst überlegt: «Den Hundert-Prozent-Entscheid für die lokale Politik habe ich gefällt, als ich mich entschieden habe, für den Gemeinderat zu kandidieren.»
28.09.2024 – Ajour.ch: Neue Gemeinderätin Anna Tanner: «Bevor ich im Januar starte, mache ich einen Führungskurs» Deborah Balmer